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Stellungnahme der Deutschen Cochlea Implantat Gesellschaft

Stellungnahme der DCIG zur CI-Versorgung in der Krankenhausreform

 

In Nordrhein-Westfalen (NRW) wird derzeit die Umsetzung der nordrhein-westfälischen Krankenhausreform vorangetrieben. Da NRW als Modellregion für die bundesweite Krankenhausreform gilt, ist die gegenwärtige Umsetzung dort kritisch zu beobachten und zu kommentieren. Die Deutsche Cochlea Implantat Gesellschaft e. V. (DCIG) und der Cochlea Implantat Verband Nordrhein-Westfalen (CIV NRW) als Selbsthilfevertretung von und für Menschen, die mit einem Cochlea-Implantat (CI) versorgt sind und solcher, die eine CI-Indikation haben, aber noch nicht versorgt sind, nehmen Stellung zu den aktuellen Entwicklungen in NRW.

Das Cochlea-Implantat ermöglicht es, taub geborenen, hochgradig schwerhörigen sowie schleichend oder plötzlich ertaubten Menschen (wieder) zu hören und zu einem Sprachverstehen zu gelangen. Damit einher geht ein enormer Zugewinn an Lebensqualität: Wer auch mit Hörgerät nicht oder nur noch schlecht hört und versteht, kämpft sich oft durch den Alltag. Viele ziehen sich zunehmend aus ihrem sozialen Umfeld zurück – mit teils gravierenden Folgen: Eine un- bzw. unterversorgte Hörschädigung erhöht unter anderem durch die enormen Höranstrengungen und den sozialen Rückzug das Risiko von Burn-Out und Depression bis hin zu Demenz-Entwicklung. Das Cochlea-Implantat ersetzt zwar nicht das natürliche Gehör, kann aber den Hörverlust durch ein neues Hören auffangen, das Teilhabe am gesellschaftlichen und am Arbeitsleben wesentlich erleichtert. Voraussetzung dafür ist ein schneller Zugang und eine qualitativ gesicherte CI-Versorgung in allen Phasen. Beides sehen wir durch die geplante Krankenhausreform nach jetzigem Stand in Gefahr. Unsere Kritikpunkte:

1. Mehr statt weniger Versorgungen pro Jahr
In den vergangenen rund 40 Jahren hat sich die CI-Versorgung in Deutschland fest etabliert. Dabei hat sich nicht nur die Hörtechnik enorm weiterentwickelt, sondern auch die Operationstechnik und Indikationsstellung. Insgesamt hat sich die Zahl jener, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen von einem Cochlea-Implantat profitieren könnten, über die Jahre deutlich erhöht: Schätzungen von Experten gehen von bis zu einer halben Million Menschen in Deutschland aus, die trotz entsprechender Hörschädigung noch nicht mit einem Cochlea-Implantat versorgt wurden.
Mit der demografischen Entwicklung wird die Zahl der CI-Kandidaten und CI-Träger weiter steigen. Wer in Anbetracht dessen OP-Kapazitäten streicht, wie es die aktuellen Planungen in NRW befürchten lassen, erhöht die Wartezeit auf ein Cochlea-Implantat drastisch und gefährdet die Gesundheitsprognose der Betroffenen insgesamt. Wir fordern: keine Reduzierung der Plätze für CI-Versorgungen. Wir brauchen mehr qualitativ hochwertige Angebote, nicht weniger!

 2. Qualitativ hochwertige CI-Versorgung sichern
Mit der Etablierung der CI-Versorgung hat die Zahl der implantierenden Kliniken in Deutschland stetig zugenommen. Die Kriterien der AWMF-Leitlinie sowie des Weißbuchs der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie e. V. (DGHNO-KHC) zu den Mindestausstattungen der CI-Versorgung in einer Klinik erfüllen derzeit jedoch nicht alle implantierenden Kliniken. Seit 2021 gibt es mit der Zertifizierung „CI-Versorgende Einrichtung“ (CIVE) ein Gütesiegel für eine qualitativ gesicherte CI-Versorgung. Träger des Zertifizierungssystems ist die DGHNO-KHC.
Wir fordern, dass bereits zertifizierte Kliniken und Kliniken, die den Zertifizierungsprozess bis zu einem noch zu bestimmenden Stichtag durchlaufen, bei der Vergabe von OP-Plätzen für eine Cochlea-Implantation Vorrang haben. Oberstes Ziel muss die qualitativ hochwertige lebenslange Versorgung der Patienten sein.


3. Finanzierung der CI-Versorgung in allen Phasen
Die Operation ist nur ein Teil der CI-Versorgung. In den AWMF-Leitlinien zur CI-Versorgung kann nachvollzogen werden, dass Basistherapie, Folgetherapie und lebenslange Nachsorge fest zum Prozess der CI-Versorgung gehören, die Prozesskoordination und Gesamtverantwortung liegt dabei bei der ärztlichen Leitung der CI-versorgenden Klinik . Im bisherigen DRG-System und auch in den Planungen der Krankenhausreform in NRW ist dieser Gesamtprozess nicht finanziell berücksichtigt. Hier bedarf es einer dringenden Nachbesserung, zumal die Kapazitäten für die Nachsorge in den Kliniken mit steigender Patientenzahl zunehmend knapper werden.
Wir fordern daher, dass die lebenslange Nachsorge über eine Vergütungsregel finanziell abgesichert wird, die es Kliniken freistellt, ob sie die Nachsorge selbst erbringen oder externe Dienstleister, wie etwa Hörakustiker, über entsprechende Kooperationsverträge einbinden.


4. Die Nachsorge bereits versorgter CI-Patienten gewährleisten
Nach derzeitigem Planungsstand in NRW sollen nicht alle CI-versorgenden Kliniken weiter implantieren dürfen. Mit Sorge blicken wir auf die Folgen für die CI-Patienten der betroffenen Kliniken. Anders als bei herkömmlichen Operationen bleiben die Patienten im Rahmen der lebenslangen Nachsorge mit ihrer Klinik verbunden und suchen diese in der Regel mindestens einmal jährlich zu Kontrolluntersuchungen auf. Hier wird zum einen die Implantat-Stelle ärztlich kontrolliert, um Komplikationen, wie beispielsweise Entzündungen, rechtzeitig zu erkennen, und zum anderen ist eine regelmäßige Kontrolle oder Einstellung des CI-Prozessors notwendig. Das Hör-Erlebnis mit einem Cochlea-Implantat verändert sich mit der Zeit und auch mit den Anforderungen des Alltags. Daher ist eine regelmäßige Vorstellung in der implantierenden Klinik obligatorisch und wird auch von den Krankenkassen gefordert. Wenn nun CI-versorgende Einrichtungen das Angebot einstellen müssen, sind die von diesen Kliniken betreuten Patienten plötzlich ohne Nachsorge. In Anbetracht der rund vier- bis fünftausend CI-Operationen pro Jahr in Deutschland, davon ca. tausend in NRW, könnte die Nachsorge für tausende Patienten wegbrechen. Da eine CI-versorgende Klinik auch rechtlich lebenslang für ihre CI-Patienten verantwortlich ist, tut sich hier auf mehreren Ebenen ein bisher wenig beachtetes Problem auf.

Hinzu kommt: Ohne eine Vergütungsregelung für die Nachsorge werden kaum Kliniken freiwillig die Patienten anderer Kliniken übernehmen – selbst, wenn sie nach der Krankenhausreform einen Zuschlag für die CI-Versorgung neuer Patienten bekommen haben.
Wir fordern daher: Wenn Kliniken der Bereich Cochlea-Implantation entzogen wird, muss klar sein, wie die schon versorgten Patienten dieser Kliniken weiter versorgt werden! Das Thema Nachsorge muss in der Krankenhausreform bedacht werden, um die Versorgung und die lebenslange Nachsorge sicherzustellen.

 

Die vollständige Stellungnahme als PDF gibt es hier